Sammlung

Büste: Engelspietà

Künstler/in
Entstehung
Süddeutschland
Datierung
um 1860/1870
Material
Figur: Laubholz, geschnitzt, Überzug; Sockel: Laubholz, Überzug
Maße
Figur mit Sockel: H. 29,6 cm, B. 26,5 cm, T. 12,8 cm; Figur: H. 20,5 cm, B. 20,0 cm, T. 9,8 cm; Sockel: H. 8,4 cm, H. (mit Montage) 25,9 cm, B. 26,5 cm, T. 11,8 cm
Standort
Bayerisches Nationalmuseum (nicht ausgestellt)
Inventarnummer
2022/135.1-2
Bezug
Zugang
Ankauf 2022, Erworben aus Schweizer Privatbesitz mit Mitteln der Louise Blackborne-Stiftung

Die Christusbüste, eine sogenannte Engelpietà, stammt aus dem Besitz des Berliner Bankiers Fritz Andreae (1873–1950), eines Schwagers von Walther Rathenau. Anders als lange vermutet, handelt es sich nicht um ein mittelalterliches Original, sondern um ein Pasticcio der Zeit um 1900. Wie häufig bei solchen Arbeiten passen die einzelnen Elemente nur bedingt zusammen. Das verwendete Lindenholz weist auf Mitteleuropa, während das Werk formal besonders von italienischen Vorbildern inspiriert ist: Ganz wesentlich scheint es durch Gemälde desselben Themas von Carlo Crivelli geprägt, der zwischen 1457 und 1495 vor allem in den Marken tätig war. Auf ihn verweisen die vor Schmerz grimassenhaft verzerrten Gesichter der Engel, ihre sehr kleinen Flügel oder die Art, wie sie sich eng an den Kopf des Heilands schmiegen. Auch die über den Schultern mit Bändern zusammengehaltenen Tuniken der Engel legen italienische Vorbilder nahe. Genauso zwitterhaft ist der zeitliche Charakter. Die Grundanlage deutet auf das 15. Jahrhundert, eher sogar auf dessen erste Hälfte, noch vor der Blütezeit von Crivelli. Damals wäre ein solches Werk aber mit Sicherheit farbig gefasst worden, wofür hier alle Hinweise fehlen. Zugleich hätte man die Gestaltung der Draperien eher in das 18. Jahrhundert datiert. Die übertriebene Akzentuierung des Leidens – man beachte die sich in die Haut bohrenden Dornen – und die in weiten Schwüngen herabfallenden Locken Christi entstammen sogar schon Vorlagen des 14. Jahrhunderts. Diese Details sind aber, ebenso wie die Dornenkrone selbst, zu regelmäßig geformt, als dass sie tatsächlich in jener Zeit verortet werden könnten. Insgesamt geriert sich das Werk zu schönlinig und sentimentgeladen, weshalb es kein mittelalterliches Original sein kann. Das Bayerische Nationalmuseum erwarb die Büste von einem Nachfahren Andreaes als Zeugnis der Sammler- und Fälscherkultur im Kreis um Wilhelm von Bode, dem Generaldirektor der Berliner Museen.

BV002539476
Zum Objekt: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 74, München 2023, S. 193 f., Abb. Abb. 13

Systematik

Bildwerk [Plastik, Skulptur] - Figur (Mensch) - Figur

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